Aufarbeitung des Geschehenen
Im Vorfeld:
Wir waren bereits seit kurz nach 10.00 kreuz und quer im Boo Kaap unterwegs. Um uns herum immer wieder Touristen und Einheimische, Passanten, Handwerker, Autofahrer, man saß vor der Tür, fegte, schwatzte, Kinder spielten… Irgendwann sprach uns ein Schwarzer an, der auf Droge oder Alk war. Wir haben ihn abgewimmelt. Er blaffte einen anderen Mann an, der vor einem Haus saß, dass der stehen wolle. Es gab einen Wortwechsel, der Mann stand auf und kam auf die Straße. Dann gab es Geschrei, eine Gruppe Männer kam die Straße runter gerannt und scheuchte die anderen beiden weiter die Heiliger Laan hinunter. Ruhe kehrte ein.
Wir sind weiter gegangen, die Church Street hinunter bis zur Rose Street, die Longmarket Street hinauf bis zur Dawes Street. Auf dem Weg wieder hinunter realisierten wir, das wir alleine auf der Straße waren, ohne uns weiter etwas zu denken. Uns kamen 3 Männer entgegen. Auf einem Grundstück schräg gegenüber waren Bewohner und Handwerker beschäftigt. Seit dem Geschrei vorher waren mindestens 20 Minuten vergangen.
Der Überfall:
Ca 11.30. Mein Mann war ca 7m oberhalb von mir, als wir unabhängig voneinander spürten „das geht jetzt schief“. Die 3 Männer (Coloureds, Anfang 20) wechselten blitzschnell auf unsere Straßenseite und teilten sich auf - einer zu mir, zwei zu meinem Mann. Ich steckte schnell noch meine Kamera in die Hosentasche und suchte einen sicheren Stand. Da stand er auch schon vor mir und streckte die Hände aus. Ich hob die Arme, senkte den Kopf (ich will gar nicht wissen wie du A.. aussiehst) und holte tief Luft. Dann sah ich auch schon, wie er von mir weglief. Wie - das war es?!? Ich bemerkte, dass meine Tasche weg war. Den Riemen hatte er durch geschnitten, denn ich habe keinen Ruck bemerkt.
Ich drehte mich um und sah zu meinem Mann. Er lag mitten auf der Straße auf dem Rücken, die drei über ihm. Zwei rannten weg, der dritte zerrte an seiner Kamera, beide rangelten. In dem Moment fing ich mit aller Kraft an zu brüllen so laut ich konnte. Kein hohes Kreischen, eher in der Tonlage „die Löwin“. Bis dahin lief Alles gespenstisch still ab. Meinem Mann hatte einer mit dem Messer in der Hand bedeutet still zu sein - er legte sich den Finger auf die Lippen. Mein plötzliches Gebrüll muss den dritten so irritiert haben, dass er sofort wegrannte, hinter den anderen hinterher.
Vom Wechsel der Straßenseite bis jetzt waren vielleicht 30 Sekunden vergangen. Das war ein eingespieltes Team, das sich genau auskannte.
Gestohlen hatten sie unsere Taschen mit Handys, Papieren, Karten, Autoschlüssel. Die Kameras konnten wir retten. Mein Schmuck hat sie überhaupt nicht interessiert.
Später entdeckten wir, dass mein Mann einige Schürfwunden und zwei blaue Flecken hatte. Ich war unverletzt.
Danach:
Von gegenüber kamen die Bewohner und fragten was los sei. Einige rannten los, anders herum. Man rief die Polizei an.
Wir sind dann auch los, den steilen Berg hinauf und um die Ecken. Zwischendrin habe ich immer wieder gebrüllt. Irgendwann sah ich Papier auf der Straße, Dinge aus meiner Tasche. Die lag ein Stück weiter, leer und mit zerschnittenem Riemen.
Uns begegneten Passanten und Anwohner, man rief wieder die Polizei an. Wir bekamen Wasser, ein Jogger sagte die Männer seien den Signal Hill hinauf.
Nachdem die Polizei nicht kam sind wir wieder zum Tatort zurück und haben uns umgesehen. Uns wurde klar: Wären wir zwei Minuten früher hier gewesen und zum Zeitpunkt des Überfalles schon weiter die Straße hinunter gewesen - uns wäre wohl Nichts passiert, weil wir an einer Kreuzung gewesen wären.
Die Familie kam raus und fragte, ob wir soweit OK seien und ob sie uns helfen könne. Sie sagten die Typen kämen nicht aus dem Viertel sondern „von da hinten“, leider gäbe es immer wieder Überfälle. Sie waren deutlich wütend, weil ihr schönes Viertel so in Verruf kommt. Man rief noch mal die Polizei, wir bekamen Getränke und ich konnte telefonieren.
Einerseits war ich klar und strukturiert: Anzeige erstatten, Karten sperren, Freunde anrufen. Andererseits war mein Kopf leer: Keine Telefonnummern waren mehr abrufbar (ich drücke doch sonst nur noch die Tasten) und ich liess einen Wortschwall ohne Ende los, den ich nicht kontrollieren konnte. Irgendwann waren wir soweit, dass ein Freund bei Nachbarn einen Hausschlüssel abholen, unseren Ersatzautoschlüssel holen und dann uns in Kapstadt abholen sollte.
Ca. 13.15 kam dann endlich die Polizei. Wir schilderten den Vorfall und sie wollten das Protokoll aufnehmen. Ob wir mit unserem Wagen zum Revier kommen könnten - nein, der Schlüssel ist weg. In ihrem Böse-Buben-Transporter wollten sie uns auch nicht mitnehmen. Ob wir uns denn im Haus nicht setzen könnten? Ähh.. Ich wollte fragen, aber die Bewohner waren nicht mehr zu sehen. Gate und Haustür standen offen und wir einsam mittendrin. Schließlich kam die Hausherrin, es sei gerade Mittagsgebet (oh je!) aber wir dürfen uns an den Esstisch setzen.
Die Polizisten nahmen das Protokoll sehr gut auf, klar strukturiert und formuliert. Da gab es Nichts zu Verändern. Es war uns unausgesprochen aber auch klar, dass sie keine Fahndung auslösen würden und sie nicht glaubten, dass wir unsere Sachen wieder bekommen würden.
In der Zwischenzeit füllte sich das Haus, denn die Familienmitglieder kamen heim. Alle staunten, wer denn da am Tisch saß… Als sie unsere Geschichte erfuhren, bekamen wir jede Menge Mitgefühl und gute Wünsche.
Ca. 14.15 waren wir fertig. Wir verabschiedeten uns von unseren Helfern und wußten gar nicht, wie wir uns für ihre Unterstützung bedanken sollten. Das holen wir demnächst noch mal nach!!! Der Senior gab uns noch einen Zettel mit seinem Namen und der Telefonnummer mit. Wir sollten unbedingt anrufen, wenn wir zu Hause wären. Wir waren völlig fertig von diesen Gegensätzen: Erst wurden wir von 3 Coloureds überfallen und danach wurden wir von einer Coloured Familie in ihrem Haus aufgenommen. WOW!
Wir gingen zum Treffpunkt mit unserem Freund. In einem Coffeeshop wollten wir beim Cappuccino warten. Ich fragte noch mal nach einem Telefon um in der Zwischenzeit unsere Kontokarten sperren zu lassen. Das ging dort nicht, aber nebenan im Gewürzladen. Dort habe ich ca 30 Minuten das Telefon blockiert, weil die Dussel bei der Bank mich nicht finden konnten „we don’t have a client with this name… what is your account number? … please wait, I’ll put you through…“ Mitarbeiter und Kunden spürten meinen Blutdruck steigen. Nachdem ich laut und deutlich wurde hat es endlich geklappt, die Karten wurden gesperrt. Ich wollte später bezahlen, wenn unser Freund mit Geld kommt. Nein, das wäre nicht nötig, man sei froh, dass uns nicht mehr passiert sei. Vielen Dank!
Beim Gespräch mit dem Cafebesitzer und einem weiteren Cappu erzählten wir uns unsere Geschichten. Schließlich kam unser Freund, trank auch noch einen Cappu und wollte uns auslösen. Nein, das komme nicht in Frage, die Getränke gingen auf’s Haus. Nochmals vielen Dank!
Kurz vor 16.00 waren wir endlich an unserem Auto und konnten nach Hause fahren. Wenigstens musste das gute Stück nicht noch die Nacht in Kapstadt verbringen, denn der Parkplatz wird Abends gesperrt.
Im Dorf sind wir nach 17.00 dann noch in den Vodacom Laden um die SIM Karten sperren zu lassen. Kein Problem, wir machen einen SIM swop. Dafür brauchte der Mitarbeiter 5 Nummern, die wir in den letzten 3 Monaten von den Geräten angerufen hatten. Klar, die wissen wir auswendig! Unsere SA ID’s brauchten wir auch. Zum Glück lagen die zu Hause im Safe, denn ohne die geht hier ja Null und Nix. Während mein Mann all das von zu Hause holte setzte sich ein weiterer Kunde neben mich und legte einige Tüten mit beef sticks und droewors zwischen uns. Sofort spürte ich Hunger, das Mittagessen war ja ausgefallen. Auf meine Frage, ob ich mir ein Stück nehmen dürfe weil… schob er mir alle Tüten rüber und ich durfte zulangen. Tat das gut! Mein Mann griff dann auch zu und wir unterhielten uns zwischendrin mit dem anderen Kunden. Plötzlich schob er R300.00 zu uns rüber. Davon sollten wir am Abend essen gehen um den Tag wenigstens schön abzuschliessen. Nein, das konnten wir aber nicht annehmen. Wir haben uns wieder herzlich bedankt, denn wir wohnen doch um die Ecke und da haben wir Essen und Geld. Diese Hilfsbereitschaft und Unterstützung war unglaublich, wir waren sprachlos.
18.15 kamen wir dann nicht mehr weiter, weil sie leider keine SIM Karten mehr hatten. Die sollten am nächsten Morgen kommen.
Endlich fuhren wir nach Hause. Dort merkte unser Kater sofort, dass mit seinen Menschen was nicht stimmte. Wir mussten erstmal schmusen. Dann ein Brot essen, unsere Nachbarn beruhigen, unsere Helfer anrufen und uns mit irgendetwas im TV ablenken.
Die nächsten Tage:
Die Nacht war grausam, wir konnten nicht schlafen. Ich habe mich mitten in der Nacht noch auf eine Tafel Schokolade gestürzt.
Am Dienstag waren wir den ganzen Tag unterwegs um alle möglichen Papiere und Karten zu organisieren. Das hat ziemlich gut geklappt. Wir haben uns erst mal zwei alte Handy’s geliehen um wieder halbwegs kontaktfähig zu werden. Bei Vodacom haben wir dann noch mal fast eine Stunde verbracht, bis alles umgeändert war (das System gab immer Fehlermeldungen). Die 2 Stunden haben uns dann R2.00 für die neuen SIM Karten gekostet.
Am Mittwoch morgen hörten wir dann komische Töne: Unsere Handy’s klingelten, wir waren wieder mit der Welt verbunden! Wir haben noch einige weitere Dinge organisiert und ich habe eingekauft und für Abends Freunde zum Essen einladen. Kochen, leckeres Essen und guter Wein, dazu Gelächter und Gespräche - eine Wohltat!
Heute haben wir in der Paarl Mall unser lieb gewonnenes Handymodell noch mal bekommen. Wir haben die letzten vier Exemplare für je R699.00 inclusive Hülle zur prepaid Nutzung geschnappt! Jetzt haben wir ein Ersatzteillager…
Zwischendrin haben uns Gespräche und Treffen mit Freunden sehr geholfen. Uns geht es recht gut, wir können wieder schlafen, lachen. Gleichzeitig sind wir aber auch noch leicht erregbar und gereizt. Während ich hier schreibe versorgt mein Mann die Handys mit Futter - Einstellungen, Apps, Kontakte... Was sammelt sich dort im Laufe der Jahre drauf an!!!
Wir sind immer noch sauer auf diese Kerle. Wir wissen aber auch, dass wir den Überfall dort nicht mehr vermeiden konnten.
Unser Fazit:
Wir werden unser Verhalten beim Stadtbummel & Fotoshooting ändern. Da wir in den 12 Jahren, die wir dauerhaft hier sind, nie eine brenzlige Situation erlebt haben, hatten wir mehr dabei als nötig. Das werden wir ändern.
Mein Mann wird seine große Kamera (zumindest erst mal) nicht mehr mit in die Stadt nehmen, die Pocketkamera muss dort reichen.
Wir werden aber auch nicht in Sack & Asche gehüllt rumlaufen und nur wenige Rand in der Tasche haben. Als Einheimische sind wir anders unterwegs, als im Urlaub. Wir verbinden den Besuch der City nun mal auch mit Besorgungen etc. Und vor jeder Fahrt die Taschen & Börsen auszusortieren - das wird spätestens dann wieder unterbleiben, wenn wir mehrfach feststellen mussten „ jetzt fehlt uns…“.
Wir haben auf wenigen Metern die absoluten Gegensätze erlebt. So ätzend der Überfall war, so großartig war die Hilfsbereitschaft. Das ist die Bandbreite in Südafrika, die einem hier immer wieder begegnet, auf engstem Raum.
Wir werden weiter unser Leben hier geniessen, denn wir wissen das hätte uns überall passieren können. Zur falschen Zeit am falschen Ort.
Die neue Kriminalstatistik aus D zeigt dass unsere alte Heimat dort sich bei den Gewaltverbrechen auch ziemlich weit nach oben gekämpft hat. So what…
Ich hoffe, dass euch solch ein Erlebnis erspart bleibt. Egal wo ihr seid.
LG
Beate
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