Meer und Berge - der schönste Platz auf Erden ...
Fragt man den Wandarer, welche Eigenschaften für ihn der schönste Platz der Welt haben muss, so kommt wie aus der Pistole geschossen: Meer und Berge!
Insofern war bei unserem letztjährigen Aufenthalt (für mich jedenfalls) sonnenklar, was passieren würde/musste, nachdem wir die Berge von Kapstadt das erste Mal erblickt hatten. Noch dazu hatten wir einige Tage Luft, bis wir die Rückreise antreten mussten. Der Wandarer würde hier nicht weggehen, ohne zuvor auf dem Tafelberg gewesen zu sein. Zu Fuß! Bzw. irgendwie aus eigener Kraft. Mir blieb allenfalls noch ein wenig Zeit, um mir zu überlegen, wie ich den Wandarer davon abhalten könnte, den Berg vollkommen auf eigene Faust zu erklimmen. Ab und an neigt mein geliebter Ehemann nämlich dazu, solche Projekte mit viel Willen, der Fähigkeit sich durchzubeißen, und auf dem direktest-möglichen Weg in die Tat umzusetzen. Er ist nun mal ein "Achiever" …
Den richtigen Guide finden ...
Ich sprach über das Vorhaben „Wanda/rer auf den Tafelberg“ daher mit einem Localista in der Rezeption und hatte das Glück, auf einen Menschen zu treffen, der Fotograf und Naturbursche durch und durch ist, wenn er nicht gerade arbeiten muss. Erst letzte Nacht, erzählte er mir ganz begeistert, habe er mit einem ebenfalls fotografierenden Freund oben auf dem Berg verbracht. Meine Bedenken konnte er nachvollziehen, der Tafelberg habe schon seine Tücken. Zwar haben wir, also der Wandarer und ich, durchaus viel Bergerfahrung und Praxis. Doch der Tafelberg ist kein Hügel in den Bayerischen Vorbergen, den man mal so im Vorbeigehen am Nachmittag in Sandalen ersteigt. Riskant kann die Sache einerseits werden, wenn das Wetter umschlägt, und andererseits, wenn man sich bei der Routenfindung verhaut. Und sich in einer "Kletterroute" wiederfindet, wo man doch eigentlich nur eine Bergtour machen wollte.
Der Localista bot an, sich mit Riaan Vorster in Verbindung zu setzen. Einem ausgewiesenen Fachmann für Klettern, Bergtouren und -Wanderungen auf dem Tafelberg und Inhaber eines entsprechenden
(Der Link ist für Gäste ausgeblendet. Um ihn zu sehen, bitte registrieren!) . Da war es 19:00 Uhr abends und die Chance, dass am nächsten Tag, noch dazu ein Sonntag, wunderbar klare Sicht sein würde. Dem Telefonat zwischen den beiden konnte ich entnehmen, dass "two elderly" mit "some experience" sich anheischig machten, auf den Berg geleitet zu werden. Riaan verlangte daraufhin mich zu sprechen und wollte mich in eine Gruppenwanderung hineintalken, die ohnehin für den nächsten Tag angeboten wurde. Ganz und gar nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Dies umso mehr, als mein netter Localista bereits geschwärmt hatte von einer Route "India Venster", für die „mountaineering experience“ und "some practice" ganz angebracht wären. In den genannten, notwendigen Voraussetzungen lag weniger das Problem: Der Wandarer und ich gehen regelmäßig "in die Berge" und das ganze Jahr über zum Klettern, im Winter eben in der Halle, im Sommer, wann möglich auch am Fels. Problematisch war schon eher, Riaan von der Idee abzubringen, dass er mit zwei Fast-Rentner (seiner Meinung nach!), die schlau daherreden und wenig Ahnung haben, seine Gruppe auffüllt. Er unterzog mich also einer ausgiebigen telefonischen Inquisition über unsere bergsteigerischen Kenntnisse und Erfahrungen und ich war froh, nicht auch noch mein Tourenbuch der letzten zwei Jahre, die silberne Alpenvereinsnadel für ein Vierteljahrhundert Mitgliedschaft und den Pass für den bestandenen Kletterkurs - Vorstieg Mehrseillängen im V. Grad - vorlegen zu müssen. Danach war er zumindest bereit, dem Gedanken näher zu treten, dass hier zwei Leute von immer noch dubioser Selbstreputation einen lokalen Bergführer suchen, um mit dem gemeinsam via India Venster auf den Tafelberg zu steigen. Er wollte sich kümmern und dann wieder anrufen. Eine halbe Stunde und ein Glas Wein später war es soweit: Riaan hatte Hendre erreicht, eine Bergwander- und Berg(Kletter)führerin, die in seiner Firma arbeitet und die am nächsten Tag Zeit hatte und sich bereit erklärte hatte, das Risiko mit den "Elderly" zu wagen.
Hendre (de Villiers), eine junge, drahtige, extrem sportliche und durchtrainierte, alles andere als große Frau (im Gegensatz zum Wandarer und mir) holte uns am nächsten Morgen mit ihrem Wagen ab. Wir fuhren zur Talstation der Cable Car am Tafelberg, da wenige Meter rechts davon die Tour beginnen sollte. Die wechselseitigen Honneurs waren im Auto bereits gemacht, wir fanden uns gegenseitig sympathisch und kamen sehr gut miteinander klar. Die Ausrüstung, also Bergschuhe, Rucksack, Kleidung, ausreichend Getränke, ein bisschen Verpflegung, wurde beim Aussteigen in Augenschein genommen und gebilligt.
India Venster
Und dann ging's los. Zunächst einen steinigen Bergpfad in gleichmäßiger Steigung hinan. Wobei die Herausforderung darin bestand, annähernd mit dem Tempo von Hendre Schritt zu halten. Nach einer halben Stunde war man dadurch allerdings bestens aufgewärmt. Wir stießen hier auf eine Gruppe von Leuten, die sich herausstellten als die Wandergruppe, in die Riaan uns so gerne gesteckt hätte. Sowohl der Wandarer, als auch ich machten innerlich drei Kreuzzeichen, dass dieses Schicksal an uns vorbeigegangen war. Nicht, dass wir Probleme haben mit einer Gruppe von Leuten. Doch war deutlich sehen, dass diese Teilnehmer wenig Praxis 'am Berg' haben. Und wir wollten wirklich nicht halbstundenlang hinter jeder einzelnen Felsstufe stehen und warten, bis diese 'ultimative Schwierigkeit' von jedem einzelnen physisch, wie auch mental und verbal-kommentatorisch bezwungen worden sein würde.
Wir tauschten also noch ein paar Worte mit Riaan, den wir nun auch persönlich kennengelernt hatten und bekamen von ihm den guten Rat: "Wenn Hendre zu schnell losstürmt, haltet sie am besten am Pferdeschwanz fest." Bei genauer Betrachtung mangelt es dieser Aufforderung einer gewissen Logik. Was nicht weiter nachteilig war, weil sich Hendre ganz fantastisch auf unser Tempo einstellte.
Das Gelände wurde nach dieser Kurzrast wesentlich steiler. Von einem gut erkennbaren Weg konnte man nicht mehr sprechen, bzw. gab es immer wieder Varianten, von denen der Nicht-Kenner nicht hätte sagen können, ob er noch auf dem richtigen oder schon auf dem falschen Pfad ist. Insofern – und dies sei für Nachahmer dick unterstrichen - ist es absolut empfehlenswert sich einem lokalen, kundigen Guide für diese Tour anzuvertrauen. Die Route India Venster (
(Der Link ist für Gäste ausgeblendet. Um ihn zu sehen, bitte registrieren!) ) zieht sich nach dem gerade beschriebenen Zustieg ziemlich direkt (::== Bergsteiger-Deutsch für steil, bzw. alpendeutsch: grad nauf) unter den Kabeln der Cable Car in den Felsen nach oben. Man kann sie beschreiben als Besteigung einer Riesentreppe, wobei die einzelnen "Treppen"stufen jeweils kleine Felswände oder - Scharten von 6-10 m Höhe sind, die zu erklettern sind. Danach, quasi 'auf' der Stufe, geht man wieder eine paar Minuten nach links oder rechts auf einem Grasband, bis die nächste Felsstufe folgt.
Scrambling
Die Route war interessant, weil sie uns mit "Scrambling" vertraut machte. Scrambling ist Klettern über kurze Passagen, nämlich ziemlich senkrecht hoch an den beschriebenen Felsstufen, jedoch ohne Seilsicherung. [In manchen Passagen wurden inzwischen Ketten angebracht, da India Venster einen unlöblich hohen Beitrag zur Unfallstatistik geliefert hat …] Scrambling ist entfernt vergleichbar mit dem, was im alpinen Gelände mit UIAA II oder III-bewertet wird. Wer klettern kann - und eine gewisse Ahnung sollte man davon haben für diese Route - tut sich rein klettertechnisch im Hinaufsteigen sicher nicht schwer. Wer allerdings Probleme hat mit ausgesetzten Stellen, die ohne Sicherung zu bewältigen sind, sollte besser die Beine und Hände von dieser Route lassen. [Und noch eins: Die schriftlichen Topos, die ich für diese Route bisher gelesen habe, raten samt und sonders davon ab, die Route im Abstieg zu machen. Das würde ich dreifach unterstreichen. Zum einen muss man wirklich gut klettern können, um die Felsstufen abwärts zu klettern. Man muss dafür auch ein extrem stabiles Nervenkostüm haben. Denn ein Abrutscher auf diesen Steilstufen, der beim Hinunterklettern leicht passieren kann, führt unweigerlich zu einem Absturz mit unabsehbaren Folgen. Und nicht zuletzt muss man, allemal bei gutem Bergwetter, mit Gegenverkehr durch die aufsteigenden Tourengeher rechnen, was für beide Seiten Stress und Risiko bedeutet.]
Hendre zeigte sich angetan und bemerkte, wie wohltuend es für sie sei, dass sie uns nicht jeden Griff und Tritt in jeder Felsstufe einzeln zeigen muss. Für uns war es rundum positiv, von ihr begleitet zu sein, weil wir uns aufs Bewegen, Klettern und Steigen konzentrieren konnten, Zeit und Muße hatten, immer wieder den traumhaften Blick auf Kapstadt, den Hafen, Robben Island oder den Lion's Head zu genießen. Und uns absolut darauf verlassen konnten, dass Hendre weiß, wo wir sind und wie wir weiterzugehen haben.
Wer sich ein Foto vom Tafelberg auf der Seite der Cable Car betrachtet, sieht eine große, senkrechte Felswand direkt unter der Bergstation. Direttissima, also senkrecht dort hinauf, kommen nur noch exzellente Kletterer. Die noch dazu in der Lage sein müssen, sich "trad" zu sichern, d.h. traditionelle, dynamische Sicherungen anzubringen. Anders als in vielbegangenen Kletterrouten in den Alpen sind dort keine fixen Stand- bzw. Zwischen-Sicherungen eingebohrt. Was uns nicht weiter störte, weil wir lediglich mit viel Ehrfurcht unter den bedrohlichen Überhängen dieser Felswand standen.
Und mit Freude unsere Führerin folgten, die uns rechts rum, auf einem mit Gras und Protea bewachsenen Band hinter den Bergaufbau führte, auf dem die Bergstation steht. Von dort geht es, mitunter einen Handeinsatz erfordernd, über eine teils grasige, teils felsige kleine Scharte hinauf auf die flache Gipfelebene dieser Sektion des Tafelbergs. Dort traf uns mit voller Wucht ein veritabler Sturm. Von Hendre, wie schon erwähnt Pferdeschwanzträgerin, gelang ein Foto im Profil, das zeigt, wie ihr Pferdeschwanz waagrecht nach vorn über ihren Kopf zeigt, wie eine Wetterfahne, die den weiteren Weg weist. Das war einerseits sehr amüsant. Bedeutete aber andererseits, dass aus der geplanten Plaisir-Bergtour (rauf zu Fuß, runter mit der Cable Car) nichts werden würde. Denn die Kabinen der Seilbahn standen gut gegen den Wind geschützt in der Tal- bzw. Bergstation und rührten sich nicht.
Hendre und der Wandarer ergötzten sich nun eine Weile in spieltheoretischen Überlegungen auf der Suche nach der besten Strategie: Warten, ob sich der Wind legt und die Bahn wieder fährt? Runter steigen und unten befriedigt feststellen, dass diese Strategie richtig war, weil die Bahn den ganzen Tag nicht fahren würde (wie es dann letztlich geschah)! Doch wie in diesem Fall umgehen mit der Möglichkeit, dass man sich auf den Weg nach unten gemacht hat und auf halbem Weg dann die Bahn „höhnisch grinsend“ über einem hinweg nach unten gleitet?
Platteklip Gorge
Gerade zu letzterem wusste Hendre viele amüsante Episoden zu erzählen. Nach einer ausgiebigen Trinkpause, einigen Nüssen und fair geteiltem Obst machten wir uns also auf den Weg nach unten und zwar durch
Platteklip Gorge. Ein Pfad, der sich durch eine der zahlreichen Schluchten (Gorge = Schlucht) nach unten zieht. Eine Route, die weder Klettern erfordert, noch sonderlich viel Mut oder Bergerfahrung. Die jedoch, wie ich fand, im Abstieg (und sicher auch Aufstieg!) einfach ätzend ist, weil stetig Stufen hinab bzw. hinauf zusteigen sind, die relativ hoch sind, so ca. 40-50 cm oder mehr. Irgendwas zum seitlich Aufstützen gibt’s nicht. Und wer hat schon Bergstöcke dabei?! Positiv ausgedrückt ist die Route ideal für den, der in kurzer Zeit seiner Oberschenkelmuskulatur ein sehr intensives Training angedeihen lassen möchte – oder das Gefühl von Muskelkater am nächsten Tag einfach liebt.
(Nicht) empfehlenswerte Ausrüstungen ...
Davon abgesehen, war das Hinuntersteigen einfach nur informativ und unterhaltsam. Das lag an dem hervorragenden Gespräch mit Hendre, die sich wohl auf dem Tafelberg bewegt seit sie laufen kann, eine geradezu tierische Kondition hat, extrem gut klettert, seit Jahren als Bergwander- und -Kletterführerin arbeitet und zum Team der freiwilligen Bergretter am Tafelberg gehört. Ganz nonchalant erzählte diese ca. 30-jährige Frau, das bei Leichenbergung, die immer wieder notwendig sind, lieber sie den Job mit übernimmt, als dies "jungen Kollegen" zu überlassen, die anschließend psychische Probleme mit der Verarbeitung des Geschehens haben. Hochachtung! kann ich da nur sagen.
Neben solchen ernsten Themen hatten wir immensen Spaß - zugegeben auf Kosten anderer Leute. Denn was uns da entgegenkam, waren hauptsächlich Touris, die entweder masochistisch veranlagt sind, oder sich auf dieses Abenteuer eingelassen haben, ohne zu überlegen was sie da tun – vielleicht auch beides. Es waren Leute jeden Alters, besonders schlecht ausgerüstet waren die besonders jungen Leute: Schlabbersandalen, Slipper und Sneaker schienen denen offenbar ausreichend und waren es definitiv nicht. Jacken oder sonstige Schutzbekleidung - es war immerhin ziemlich stürmisch wenn auch warm - sah man überhaupt nicht. Und geradezu lächerlich waren die kleinen Wasserfläschchen: 025l, wenn's hoch kommt, die sie vermutlich kurz vor dem Aufbruch noch in der Minibar gefunden hatten. Eine eigene Fotostrecke ließe sich füllen mit den Gesichtern dieser Leute, vor allem nachdem sie die (einigermaßen ehrliche) Antwort auf die Frage gehört hatten, „how far is is to the ... mountain …“
Hendre bezeichnete diese Leute alsKandidaten, "my clients for the afternoon" und meinte damit den absehbaren Job als sie als Bergretterin für die, die es nicht mehr allein nach unten schaffen würden. Spaß hatten wir trotzdem, weil wir hemmungslos gelästert haben, z.B. über junge Frauen, die bei gefühlt 30° im Aufstieg einen dicken Grob-Strickpulli tragen ("I think it is good to keep her warm...) oder Trägerinnen von Kleidergröße 36, die offenbar Angst vor Wasser haben, welches der Figur schaden könnte und aus dem Grund erst gar keins mitnehmen („… and [keep her] dry enough …“).
Die Idee übrigens, aus den Rinnsalen im Fels oder Gras, die ab und an zu sehen sind, eine eventuell doch vorhandene kleine Wasserflasche wieder aufzufüllen, sollte verworfen werden. Warum? Fragt man nicht mehr, wenn man die Scharen von Leuten sieht, die über diese Route den Berg hinauf ziehen. Wann und wo waren die wohl zum letzten Mal zum Pipi hinter dem Busch??.
Die Unterhaltung und unsere Lästereien haben den Abstieg erträglich gemacht. Insgesamt brauchten wir für Auf- und Abstieg ohne Pausen ca. 5,5 Stunden. Mit Befriedigung haben wir am Parkplatz nahe der Cable Car festgestellt, dass die Seilbahn nach wie vor nicht fuhr, es also absolut richtig war, dass wir uns zu Fuß auf den Abstieg gemacht hatten.
Pläne
Diese Bergtour, bei der letzten Reise nicht geplant, hat Lust gemacht auf mehr. Wir werden also bei der jetzt anstehenden Reise (in wenigen Tagen geht’s los) wieder die letzten Tage in Kapstadt verbringen. Und haben schon jetzt die Fühler ausgestreckt, um am Tafelberg auch mal "richtig" zu klettern. Also mit Kletterausrüstung, mit Seilsicherung und in entsprechenden Routen. Auch diesmal werden wir mit einem lokalen Kletterführer zusammengehen. Freuen uns schon jetzt ganz enorm - und werden, gutes Ende vorausgesetzt, nach Rückkehr davon berichten.