11. Tag: Auf in die Wildnis - Der Primitive Trail beginnt
Heute geht es in die Wildnis! In den letzten Tagen haben wir bereits einige Überlegungen angestellt, wie wohl die anderen Trail-Teilnehmer sein werden. Immerhin verbringt man ja fast fünf Tage mit diesen Leuten zusammen. Wir spekulieren auf ein mittelaltes deutsches Ehepaar, weil es typisch wäre, dass so ein Wildnisding gern von Deutschen gemacht wird. Zwei junge, erlebnishungrige Amerikaner, möglicherweise Frauen, die sich den halben Tag im Busch schminken (Vorurteile olé!). Und einen Safari- oder Wanderprofi. Mehr fällt uns nicht ein. Mein Freund ist ein wenig besorgt, dass ich mir zu viel von dem Trail erwarte. "Du stellst Dir das vor wie bei Bear Grylls, so wird es bestimmt gar nicht." Naja - wir werden sehen!
Um 9 sollen wir bereits im Mpila Camp sein, obwohl der Trail erst um 10 losgeht. Diese Uhrzeit habe ich nach ewigem Nerven per Mail herausgefunden, da bei der Buchung keine Info dazu herausgegeben wurde und auch online nichts zu finden war, bzw. nur Widersprüchliches. Dementsprechend sind wir ein wenig nervös, ob das auch wirklich alles so stimmt. Eigentlich wollen wir unterwegs frühstücken, aber die Strecke zieht sich dann doch etwas, besonders wegen der vielen fiesen Schlaglöcher, die bei der Eile wirklich alles andere als Spaß machen, und wir brauchen ganze 1:45 bis Mpila. Der Hluhluwe-Imfolozi kommt uns doch extrem trocken vor im Vergleich zu dem ja sehr feuchten Gebiet um den iSimangaliso. Relativ genau um 9 treffen wir in Mpila ein. In der dortigen Rezeption zahlen wir dann noch die Parkgebühren und dann wird uns gesagt, dass es noch eine Weile dauert. War ja klar, dass wir uns jetzt wieder umsonst beeilt haben - aber immerhin haben wir Zeit zum Frühstücken.
Neben uns parkt irgendwann ein - ja genau - mittelaltes Ehepaar. Irgendwie ahnt man da schon etwas. Und natürlich gehören sie auch zum Trail. Allerdings stellt sich heraus, dass sie Südafrikaner sind, Barry und Chris(ta), Chris allerdings deutsche Eltern hatte und auch Deutsch spricht. Der erste Teil unserer Prognose erfüllt sich! Nach dem obligatorischen Gespräch über deutsche Automarken und wie toll sie sind, trifft bald ein weiterer Teilnehmer ein - gekleidet in voller Safarimontur, von den khakifarbenen Shorts bis zum beigen Funktionsshirt und dem passenden Hut. Bingo! Er stellt sich als Nigel heraus, ein Brite, der offensichtlich den Trail schon mehrmals gemacht hat und gerne Sätze mit "last year..." formuliert. Er ist offenbar 64 und der Meinung, dass es sein letzter Trail sein wird, worüber er sehr traurig ist. Dabei stellt sich heraus, dass Barry sogar noch älter ist, aufgrund seiner Vergangenheit als mehr oder weniger professioneller Rugbyspieler und -trainer aber deutlich jünger und fitter wirkt. Irgendwann fährt ein großer Pick-Up auf den Parkplatz. Eine junge schwarze Frau stellt sich als Mpile vor, sie ist eine unserer Ranger. Nigel fragt, ob Nunu, der dort hinten steht, auch dabei ist, denn - nicht last year, aber das Jahr davor - hat er mit ihm schon einen Trail gemacht. Ja, ist er. Nunu ist ein ebenfalls sehr junger schwarzer Ranger mit Dreadlocks, der sehr lustig drauf zu sein scheint. Nach und nach finden wir raus, dass es offenbar nicht hier zu Fuß losgeht, sondern wir erst noch ein Stück in den Busch fahren. Allerdings müssten wir noch auf zwei Teilnehmer warten. Sind das die Amerikaner, die typischerweise zu spät kommen? Um halb 11 fährt ein Auto mit zwei jungen Frauen auf den Parkplatz. Amerikanerinnen, zwei Schwestern, die Casey und Alex heißen, aber sich als deutlich wildnistauglicher herausstellen werden, als wir es gedacht hätten. Wir freuen uns innerlich einen Ast ab, dass unsere Prognose es so auf den Kopf trifft.
In einer Autokolonne fahren wir in den Busch hinein, natürlich haben wir das allerkleinste Auto von allen und bleiben auf der unebenen Piste ein paar Mal fast stecken. Wir kommen zu einem kleinen Buschcamp, wo wir unsere Autos abstellen. Offenbar müssen wir sie einfach so, mit allem Gepäck, für die Tage hier stehen lassen. Aber wir vertrauen darauf, dass das schon immer funktioniert hat, und lassen unsere Wertsachen dort drin - die Wahrscheinlichkeit, dass uns etwas in der Wildnis verloren geht, ist wohl höher. Anschließend wird an jeden ein großer Rucksack mit Isomatte und Schlafsack verteilt, sowie einen Metallteller, eine Metalltasse und einen Löffel. Außerdem eine schon volle 2-Liter-Feldflasche. Dann wird die Packtechnik demonstriert. Mit diesen Utensilien ist der Rucksack schon recht voll, wir sollen aber trotzdem noch Platz für ein Essenspaket lassen. In der Online-Broschüre gab es eine Empfehlung, wie viel Kleidung man dabei haben soll, und wir haben uns bis auf ein oder zwei Extra-Shirts daran gehalten. Es wurde auch dazu geraten, nur dunkle Farben dabeizuhaben, weshalb ich mir extra eine Regenjacke von einer Freundin geliehen habe. Mit meinen vorher gekauften 200-Euro Meindl Wanderstiefel fühle ich mich richtig wildnistauglich, auch wenn wir lange nicht so professionell aussehen wie Nigel. Uhren und Handys sind übrigens verboten und müssen im Auto gelassen werden. Wir sollen vollkommen nach dem Rhytmus der Natur leben.
Nach der Packaktion verschließen wir die Autos und begeben uns in einen kleinen Pavillion, wo es neben einem Mittagessen, das an Hot Dogs erinnert, eine Menge Papierkram auszufüllen gibt. Wir unterschreiben also fleißig, dass wir uns
wirklich freiwillig in Gefahr begeben und niemand Schuld ist, wenn wir sterben.
Während wir das tun, laufen drei Elefanten über den Hügel gegenüber.
Niemand beachtet sie. Aber es sind meine ersten Elefanten, die ich in der freien Natur sehe, und ich bin innerlich völlig aus dem Häuschen, denn Elefanten sind auch noch meine Lieblingstiere! Aber nach außen muss ich Coolness bewahren, offenbar
Auf jeden Fall ist die Vorfreude ins unendliche gestiegen. Eine besondere Einführung, wie wir uns den einzelnen Tieren gegenüber verhalten sollen, gibt es nicht, da Nunu meint, wir würden sowieso alles wieder vergessen. Die einzigen Infos, die wir bekommen sind die Grundregeln für unseren Marsch: Wir laufen alle in einer Reihe, ein Ranger vorn und einer hinten. Wir sollen kein Wort sprechen. Wenn wir ein Tier oder etwas Interessantes sehen, sollen wir mit der Zunge schnalzen. Die Ranger haben sehr großkalibrige Gewehre dabei, die mir am Anfang Respekt einflößen. Aber klar, sie müssen ja im Notfall auch einen Elefanten erledigen können. Hoffentlich wird das nicht nötig sein.
Dann geht es los.
Bepackt mit den Essenspaketen für fünf Tage sind die Rucksäcke so dermaßen schwer, dass ich meinen gar nicht alleine aufsetzen kann. Ich schätze ihn auf etwa 20 Kilo. Dazu ist es auch noch ziemlich heiß. Aber ich finde es ganz großartig, denn genauso wie auf die Wildnis und die Tiere habe ich mich auf das schwer bepackte Wandern gefreut, diese Erfahrung, alles, was man braucht, dabeizuhaben und große Distanzen zu Fuß zurückzulegen, langsam, bedächtig, aber kontinuierlich. Vielleicht habe ich ein bisschen zu viel Herr der Ringe gelesen. Am Anfang ist der Rucksack wirklich extrem unbequem, er drückt an allen Ecken und Enden, weil er noch nicht richtig eingestellt ist. Er ist auch wirklich extrem schwer, zieht einfach so sehr, dass man es kaum eine Minute vergessen kann. Nach nur sehr wenigen Minuten erreichen wir den Fluß, den Black Imfolozi River. Meine größte Sorge galt zuvor den Flußdurchquerungen, da ich gelesen hatte, dass man hindurchwaten muss, und es definitiv Krokodile gibt. Natürlich habe ich mir auch die Abwehrtechniken für Krokodile durchgelesen (ins Auge stechen, oder das Maul zudrücken, damit sie einen nicht zerfleischen, weil ein Krokodil zwar sehr viel Kraft beim Zubeißen hat, aber wenig Kraft beim Öffnen des Kiefers. Aber natürlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie einem gleich mit einer Rolle das Genick brechen, sowieso sehr hoch). Allerdings stellt sich der Fluß eher als ein sandiges, komplett ausgetrocknetes Flußbett dar. Gut, was die Krokodile angeht! Aber wo sollen wir baden? Welches Wasser sollen wir trinken? Hm. Wir lesen die Spuren eines Elefanten, an der Richtung, in die der Sand geschoben wurde, erkennt man, wohin er gegangen ist. Jetzt müssen wir das Flußbett auf der anderen Seite wieder hoch - im tiefen Sand einen Abhang hinaufzugehen stellt sich mit 20 Kilo auf dem Rücken als doch eher schwierig vor, und beinahe verliere ich das Gleichgewicht und falle nach hinten um
Wir gehen ein gutes Stück weiter durch den Busch, alles ist sehr trocken und recht dicht bewachsen. Am Flussufer gibt es aber auch grün. Irgendwann halten wir an. Unten im Flußbett läuft offenbar ein recht großes Exemplar eines Elefanten parallel zu uns, aber etwas hinter uns. Wir setzen unsere Rucksäcke ab und beobachten ihn. Erst verborgen in den Bäumen, sehe ich doch nach einer Weile, wie riesig er ist - ein einzelner Elefantenbulle. Er kommt langsam aber sicher näher.
Als er fast direkt unter uns ist, werden die Ranger plötzlich hektisch, flüstern "Go, go go!". Mpile gibt mir mit einer Berührung am Arm zu erkennen, wie eilig es ist.Wir laufen so leise wir können ein Stück zurück, vielleicht 20 Meter. Wir verstecken uns hinter einem Baum, stehen totenstill. Der Bulle geht, Äste zerbrechend, nicht etwa unten im Flussbett weiter, sondern genau an der Stelle, wo wir eben noch standen, den sandigen Abhang hinauf. Obwohl der recht steil ist. Dort liegen noch unsere Rucksäcke... Wir sind starr vor Angst und Aufregung, denn der Bulle wirkt irgendwie aggressiv. Einen kurzen Moment sieht es so aus, als würde das Tier, das nun in seiner vollen Größe sehr bedrohlich aussieht, sich nach links drehen, und direkt auf uns zukommen. Das Adrenalin schießt durch unsere Adern. Mein Herz klopft bis zum Hals. Ich halte die Luft an. Er ist riesig. Was würde passieren, wenn er plötzlich auf uns zustürmt? Kann ein Ranger überhaupt so schnell reagieren? Es sind nur so wenige Meter zwischen uns dem Koloss. Doch wir haben Glück. Der Elefant entscheidet sich für eine andere Richtung. Wir atmen aus. Doch das Herz schlägt noch eine ganze Weile sehr schnell... mit solch einer Begegnung hätte ich niemals gerechnet. Ich finde, es ist jetzt schon wie bei Bear Grylls. Mindestens.
Die Ranger erzählen uns, dass dieser Bulle tatsächlich in der Musth war. Uiui. Im Nachhinein gesehen war das die kritischste Begegnung auf dem ganzen Trail und vielleicht sogar wirklich eine brenzlige Situation, wo ich mir im Nachhinein nicht sicher bin, ob die Ranger sich vielleicht auch kurz verkalkuliert haben, was dieser Elefant als nächstes tun wird. So hektisch habe ich sie danach nie wieder gesehen, und so aggressiv wirkte kein anderer Elefant. Was für ein Start!
Wir gehen weiter und
durchqueren ein aufgewühltes Feld mit Dung, eine Kuhle, in der Nashornmännchen große Mengen an Dung produzieren und dann hindurchstapfen, um mit dem, was an den Füßen hängen bleibt, ihr Revier zu markieren.
Nach einem weiteren nicht allzu langen Marschstück - aufgrund der Hitze und des Durchschnittsalters werden wir wohl etwas geschont - begegnen wir einer größeren Herde Elefanten, die den Fluss überqueren und dann auf unserer Seite des Flussbetts an den Bäumen herumknabbern.
Auf dem Boden sitzend beobachten wir sie, wobei die meisten eher schlafen, ich aber wie gebannt jede Bewegung verfolge. Es sind immernoch einige meiner ersten Elefanten und ich finde sie wundervoll. Wir gehen weiter durch den Busch. Irgendwann kommen wir dann wieder zum Flußbett, ein erneuter Balanceakt beim Herunterklettern. Gegenüber ist eine steile Felswand, auf die wir zugehen, bis Nunu verkündet: This is home!" Hier werden wir also die Nacht verbringen.
Aber es wird nicht etwa ausgeruht. Wir stellen unsere Rucksäcke ab, und Nunu verlangt nach einer Tasse und einem Teller. Und nach Hilfe beim Graben. Ich bin zunächst etwas irritiert, überwinde aber mein Zögern und meine Distanz und beginne ebenfalls, auf Knien im Sand zu wühlen. Zunächst frage ich mich, was hier eigentlich passiert. Aber schnell wird klar, dass wir offenbar nach Wasser graben. Dabei ist die Technik sehr wichtig - das Loch muss tief genug sein, gleichzeitig müssen die Seitenwände den richtigen Winkel haben und festgeklopft sein, dass nicht ständig Sand nachbröckelt. Nunu zeigt es uns. Irgendwann stoßen wir tatsächlich auf Wasser! Völlig verrückt. Offenbar muss man, sobald das Loch so tief ist, dass ungefähr 20 Zentimeter Wasser darin sind, das sandige Wasser mit einer Tasse sehr schnell abschöpfen, ohne die Seiten zu berühren. Von unten drückt immer wieder Wasser nach.
Den Prozess wiederholt Nunu so lange, bis alles sandige Wasser entfernt ist. Und trinkt das Wasser aus dem Erdloch einfach so. Uns fallen kurz die Augen aus dem Kopf - wir hatten mit chlorigem, chemisch gereinigten Wasser gerechnet, aber er trinkt es einfach so. Neugierig hole ich mir auch eine Tasse. Probiere das Wasser. Und kann es kaum fassen - es ist das beste, leckerste Wasser das ich je getrunken habe. Es schmeckt nach nichts - gar nichts. Nach weniger als Leitungswasser oder Flaschenwasser. Einfach superlecker. Und es ist, anders als das Wasser in unseren Plastik-Feldflaschen, kühl. Unglaublich
Übrigens: Die Stelle, an der wir unser Lager aufschlagen, wurde offenbar vor einigen Tagen von Löwen besucht:
Als nächstes machen die Ranger ein kleines Feuer aus trockenen Gräsern und den Ästen, die wir kurz vor unserer Ankunft im Camp gesammelt haben. Das geht erstaunlich schnell. Es gibt wenig Erklärungen. Nach und nach finden wir heraus, dass die Toilette - logischerweise - der Busch ist, und zwar unterhalb des Felsens nur eben ein gutes Stück weiter, dass es für gewisse Geschäfte eine Schaufel und eine Rolle Toilettenpapier sowie Streichhölzer gibt. Man soll offenbar ein Loch graben.... und dort drinnen dann das Papier wiederum verbrennen, bevor man es wieder zuschaufelt
Ich bin mal wieder erstaunt, wie locker alles gehandhabt wird, denn offenbar kann man einfach jederzeit so weit vom Camp weggehen. Natürlich soll man sich selbst umschauen. Aber ich hätte mir vorgestellt, dass man zuerst den Ranger fragen muss, ob es sicher ist. Aber wie sich später herausstellen wird, findet Nunu es offenbar eher amüsant, wenn sich jemand erschreckt, weil er irgendwann im Busch feststellt, dass ein Nashorn aufs Camp zukommt...
Jetzt muss abgesprochen werden, wer an welchen Tagen für das Essen veranwortlich ist. Wir erklären uns gleich für den ersten Abend zum Kochen bereit. Die Gruppe des nächsten Tages muss dann morgens abwaschen. Es gibt Spaghetti mit Hackfleischsauce - wer hätte es gedacht, Fleisch bei dieser Hitze? - gekocht in zwei Töpfen auf einem Feuer. Nunu zeigt uns, wie wir das logistisch lösen. Auch muss man den Topf von außen mit Schlamm einreiben, damit der Ruß des Feuers daran hängen bleibt und nicht am Metall.
Als das Essen fertig ist, wird es schon langsam dämmerig. Zwei Nashörner, die vorher schon links vom Camp herumgelaufen waren, spazieren grasend direkt vor uns vorbei, während wir auf einer kleinen Felsplattform sitzend essen, und versuchen, mit unserem Metallgeschirr nicht zu sehr zu klimpern. Rechts in der Ferne laufen zwei Elefanten langsam vorbei. Was für eine Aussicht beim Essen!
Das Essen schmeckt nach der Anstrengung des Tages wirklich hervorragend. Es wird langsam dunkel, irgendwann sind die Umrisse der Nashörner und Elefanten nicht mehr zu erkennen. Und dunkel heißt wirklich dunkel. Vielleicht hätte man sein Bett etwas früher vorbereiten, die Schlafklamotten und die Taschenlampe etwas früher heraussuchen sollen. Aber das Feuer spendet doch einen gewissen Schein. Mit Sand reiben wir unser Geschirr ab. Wir sitzen noch eine ganze Weile ums Feuer, sprechen über uns, über den Tag, den Trail, uns viele Dinge, die nichts damit zu tun haben. Ich habe tausend Fragen, aber stelle die wenigsten. Irgendwo in der Nähe hört man die ganze Zeit eine Elefantenherde, die Äste abbricht. Irgendwann gehen die Amerikaner, Casey und Alex, ins 'Bett'. Das heißt, eine Plane, dann eine Isomatte, dann ein Schlafsack. Im Kreis einige Meter ums Feuer herum gelegt. Die anderen bleiben noch sitzen und reden. Nigel bemüht immer wieder die Vokabeln "Well, last year on the trail... " und "One day in the Kruger..." sowie sein offenkundiges Fachwissen zu allen Safaribelangen. Mit seinem britischen Akzent erzählt er von seiner 30-Kilo-Fotoausrüstung, die er dieses Jahr gegen eine Videokamera und eine Go Pro eingetauscht hat. Offensichtlich hofft er, vor einem Nashorn wegrennen zu müssen, um mit seiner Go Pro, die er immer über dem Hut trägt, ein spektakuläres Video zu machen. Ein verrückter Vogel. Barry und Chris wohnen offenbar in Plettenberg und berichten von Walsichtungen vor dem Wohnzimmer. Barrys Mutter hat den Trail wohl schon einmal mit über 80 gemacht und musste auf einen Baum klettern, weil sie irgendwas verfolgt hat. Geschichten über Geschichten. Wahrscheinlich ist es noch total früh, aber wer weiß das schon?
Es gibt allerdings bevor endgültig alle schlafen, noch die Reihenfolge der Nachtwachen zu verteilen. Ich wusste vorher, dass das kommt. Nunu erklärt, dass wir die Nacht unter uns Teilnehmern aufteilen müssen und rechnet die Zeitspanne aus. 1 Stunde 10 Minuten. Allerdings gibt es keine Uhr. Wir sollen auf unser inneres Zeitgefühl hören. Wenn wir meinen, unsere Schicht ist vorbei, sollen wir Teewasser aufsetzen, den nächsten wecken, warten, bis er wach ist, und dann selbst ins Bett gehen. Während der Nachtwache ist es unsere Aufgabe, zu hören und zu schauen, dass kein Tier ins Camp kommt. Wir müssen es ganz alleine machen, denn diese Erfahrung findet Nunu wichtig. Die Ranger schlafen, denn sie passen schließlich schon den Tag über auf uns auf. Jetzt sind wir dann mal dran. Mit unseren Taschenlampen sollen wir etwa alle 5-10 Minuten einmal ums Camp leuchten und nach Augenpaaren oder großen Umrissen schauen. Außerdem darauf achten, dass das Feuer nicht ausgeht. Ich bin irgendwann in der Mitte dran und schlafe bis dahin nicht besonders gut. Obwohl meine Schlafstätte erstaunlich bequem ist. Die Angst vor dieser Aufgabe ist wohl doch irgendwie da.
Als ich an der Reihe bin, mache ich mir zuerst einen Tee. Anschließend meine erste Leuchtrunde - nichts. Der Busch ist erstaunlich leise. Ich hatte mit unzähligen Geräuschen gerechnet, wie man es vom Regenwald immer hört. Aber ich höre nur das Knistern des Feuers und das Knacken von Ästen irgendwo gegenüber, die Elefantenherde von vorhin. Durch die Stille nimmt man aber jedes Geräusch überproportional stark wahr. Ich merke, dass ich nervös bin. Dadurch verliere ich auch jedes Zeitgefühl. Eigentlich habe ich mir vorgenommen, einfach so lange zu warten, bis es langweilig ist, und dann nochmal so lange. Aber die drückende Dunkelheit, in die ich starre, die Geräusche, die mich zwischendurch immer mal wieder erschrecken lassen, die Angst, dass gerade in meiner Schicht etwas Gefährliches ins Camp kommt, die Angst vor allem vor dem Moment, wo man plötzlich ein Augenbar oder einen Umriss sieht... ich habe keinerlei Gefühl dafür, wann die 1 Stunde und 10 Minuten um sind. Rechts höre ich das Schreien einer Hyäne, das über die Zeit ganz langsam immer näher kommt. Gruselig. Ich starre weiter in die Dunkelheit, versuche, etwas zu erkennen, aber man sieht einfach nichts. Das Feuer blendet und verhindert noch mehr, dass man nichts sieht - also stehe ich teilweise auch daneben, oder laufe nervös hin und her. Zwischenzeitlich ist es beruhigend, im Feuer herumzustochern. Aber ich weiß auch, dass sich die Tiere auf Sand komplett lautlos bewegen. Besonders hell ist meine Rossmann-Taschenlampe auch nicht....
Immer, wenn ich mich gerade daran gewöhnt habe, und mich entspanne, bilde ich mir etwas ein, und die Angst ist wieder da. Und es ist eine Angst, die irgendwie existenziell ist, die nicht auf irrwitzigen Vorstellungen beruht, die ja doch nicht wahr sein können. Es ist auch eine Angst, die sich nicht durch die Phantasie immer und immer verstärkt, sondern eine, die immer gleichbleibend ist, aber gerade darin auch so gruselig, denn sie ist so unglaublich real. Irgendwann beschließe ich, dass es genug ist. Wahrscheinlich habe ich viel zu lange gemacht. Bevor ich die nächste Person wecke, muss ich noch einmal im Dunkeln zum Wasserloch, das etwas außerhalb des Feuerscheins ist. Dabei ist mir etwas mulmig. Dann gebe ich meine Wache ab. Was für eine Erfahrung!
Ich lege mich in meinen Schlafsack und schlafe wie ein Baby.